Koloniale Spuren in Hannover

Zwischen 1878 und 1932 wurden im Zoo Hannover nicht nur Tiere aus fernen Ländern präsentiert, sondern auch Menschen – vorrangig aus den Kolonialgebieten. Sogenannte 'Völkerschauen' wurden ab den 1870er Jahren zu einem weitverbreiteten kulturellen Phänomen, welches in Theatern, Varietés, Vergnügungsstätten, Panoptiken, Bierlokalen, auf Jahrmärkten und in Zirkussen, auf ,Kolonial- oder Gewerbeausstellungen‘ und nicht zuletzt in Tiergärten anzutreffen war. (1)

Der Erlebnis-Zoo Hannover hat die Zeit dieser sogenannten ‚Völkerschauen‘ durch die Historiker Dr. Clemens Maier-Wolthausen und Dr. Franziska Jahn, untersuchen lassen. Ihre Studie „Die Zurschaustellung von Menschen im Zoo Hannover von 1878 bis 1932. Ein Forschungsbericht im Spiegel zeitgenössischer Quellen“ wird hier kostenlos zum Download angeboten.

Die Studie bietet einen umfassenden Überblick über die im Zoologischen Garten Hannover gezeigten Zurschaustellungen von Menschen und untersucht zugleich die Bedeutung der Schauen für die Hannoveraner Zoogeschichte. Beschrieben werden die Herkunft, die Lebensbedingungen der zur Schau gestellten Menschen, die Arbeitszeiten und Entlohnung. Die Studie beschreibt die Inszenierungen und Darstellungen, mit denen die „Fremden“ ausgestellt wurden. Sie nähert sich auch der Motivation der Teilnehmenden und beschreibt die Rezeption durch Publikum und Presse.
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Die Zurschaustellung von Menschen im Zoo Hannover von 1878 bis 1932

Ein Forschungsbericht im Spiegel zeitgenössischer Quellen

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Die Recherche konzentrierte sich hauptsächlich auf den Schaustellungsort Zoo, schließt aber auch weitere Ausstellungsorte in Hannover ein. Im Rahmen der Recherche konnten Dr. Clemens Maier-Wolthausen und Dr. Franziska Jahn etwa 550 Zurschaustellungen im deutschen Sprachgebiet zwischen 1874 und den 1950er Jahren identifizieren. 14 solcher Zurschaustellungen wurden auf dem Gelände des Zoos in Hannover gezeigt und mindestens 37 an 15 anderen Orten in Hannover.

1878 fand die erste bislang nachgewiesene Zurschaustellung von Menschen auf dem Gelände und unter finanzieller Beteiligung des 1865 neu gegründeten Zoos statt. Die Gruppe wurde als 'Hindus' bezeichnet – neun Tage lang wurden 14 Personen zusammen mit Zebus, Elefanten und Dromedaren den Zoobesuchenden präsentiert. Dreizehn weitere Zurschaustellungen von Menschengruppen aus Nordamerika, vielen Regionen Afrikas, aus Asien, Australien und Ozeanien und aus den europäischen Randgebieten sollten in den nächsten 54 Jahren folgen.
Kolonialgeschichte: Plakat für sogenannte Völkerschau
Im Zoo Hannover wurden zumeist Geländeteile abgetrennt, um sie für die Dauer der ’Völkerschauen‘ als Sonderausstellungsgelände mit eigenen Kassen zu nutzen. Die Recherchen der Historiker ergab, dass die Orte der Schauen über die Jahre wechselten, die genaue Lage ist heute oft nicht mehr rekonstruierbar. Die ethnografische Sammlung der Sami-Gruppe von 1878 wurde beispielsweise im Zoo-Restaurant „Malepertus“ ausgestellt. Die Vorstellungen der ‚Irokesen‘ fanden auf einer Arena gegenüber dem damaligen Raubtierhaus statt. 1898 gab es für die Zurschaustellungen der Kirgisen und Tataren einen abgezäunten Schaustellungsplatz beim Raubtierhaus. Schließlich schien sich in der nordöstlichen Ecke des Gartens langsam ein ‚Völkerschauplatz‘ zu etablieren. (2)

„Bereits von Beginn an war die Herstellung von Speisen, zusammen mit der Herstellung von Alltagsgegenständen oder Kleidung (meist Webarbeiten) integraler Teil des Darstellungsprogramms. So stellten diese Inszenierungen zumindest vom Anspruch her eine Möglichkeit der ethnologischen Beobachtung dar. Letztere gehörte zum Legitimationsmodell der meisten Schauen. Bei nomadisch lebenden Gruppen zählten häufig noch der Auf- und Abbau der Behausungen sowie die Aufführung eines Zuges oder einer ‚Karawane‘ dazu.“ (3) Dabei waren diese Inszenierungen weder wissenschaftlich noch neutral. „Ein ‚Sinn‘ der Schauen bestand in der Bestätigung im Vorhinein festgelegter Wertigkeitsskalen“, erklärt Historiker Maier-Wolthausen. „Das Publikum kam nicht bewusst, um beim Zuschauen sein Selbstbild zu bestätigen, sondern es kam aus Neugier, aus Lust am Vergnügen, vielleicht gar aus dem Wunsch heraus, etwas über andere Kulturen zu lernen oder Menschen zu begegnen.“ Dennoch hat das System der ‚Völkerschauen‘ auf den bereits zuvor festgelegten Kategorien von ‚wertvoll‘ und ‚wertlos‘, ‚zivilisiert‘ und ‚wild‘, ‚schön‘ und ‚hässlich‘, ‚oben‘ und ‚unten‘ beruht. (4)
Kolonialgeschichte: Plakat für sogenannte Völkerschau
Die Ausgestellten wurden in dieser Logik als ‚minder-zivilisiert‘ und damit als ‚minderwertig‘ eingestuft. „In diesem Sinn beruhten alle Zurschaustellungen in und außerhalb der Zoos auf rassifizierenden Stereotypen, die sie selbst reproduzierten. Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass sie Einzelnen auch eine Form der Kontaktaufnahme ermöglichten. ,Völkerschauen‘ taten wohl beides: Bestätigungen liefern und herausfordern“, so die beiden Historiker.

Alle identifizierten Zurschaustellungen im Zoo und in der Stadt Hannover werden in der Studie chronologisch vorgestellt. Jeder Schau ist eine Kurzbeschreibung mit den Informationen über den Titel, den Impresario/Schausteller, die Herkunft der Gruppe, Tiere, die Dauer und den Ort, an dem die Schau in Hannover gezeigt wurde, sowie die Reiseroute vorangestellt.

Übersicht der Zurschaustellungen im Zoologischen Garten Hannover

Ein Hinweis zur Quellensprache: Offensichtlich diskriminierende und aus dem rassistischen Kolonial-Vokabular entnommene Begriffe für Menschen und Gesellschaften sind in der Studie und in der untenstehenden Tabelle typografisch gebrochen: Rassistische Wörter wurden doppelt durchgestrichen.
Quellenangaben

  1. "Die Zurschaustellung von Menschen im Zoo Hannover von 1878 bis 1932. Ein Forschungsbericht im Spiegel zeitgenössischer Quellen“, Seite 5.
  2. ebda., Seite 136.
  3. ebda., Seite 140.
  4. ebda., Seite 149

Bild PDF-Download: Mediamodifier/Unsplash