Addaxantilopen bei Auswilderung

Auswilderung:
die Königsdisziplin

Artenschutz

Zoos wildern Tiere aus

Dr. Marlis Dumke

Dr. Marlis Dumke

Intensive Vorarbeit

Zoos wildern Tiere aus - wie genau das funktioniert und wie komplex eine Wiederansiedelung ist, erklärt Zoo-Artenschutzreferentin Dr. Marlis Dumke.
Moderne, wissenschaftlich geführte Zoos sind Archen für bedrohte Arten. Eine Studie hat jüngst ergeben, dass 84 verschiedene Tier- und Pflanzenarten – in der Wildbahn ausgestorben – nur durch Zoos und botanische Gärten überleben konnten. Die Königsdisziplin ist, in der Natur ausgestorbene und bedrohte Arten wieder auszuwildern, und Zoos steigern ihre Erfolge stetig!
Im Jahr 2016 wilderten die Zoos und Tierparks im deutschsprachigen Raum 350 Tieren aus 28 verschieden Arten aus. In den Jahren 2018 bis 2019 waren es über 3.000 Individuen aus 46 verschiedenen Arten! Darunter: Säugetiere wie Alpensteinbock und Wildkatze, Vögel wie Schleiereule und Balistar sowie Amphibien und Reptilien wie Ringelnatter und Gelbbauchunke. Aber bis Tiere wieder ausgewildert werden können, bedarf es intensiver Vorarbeit.
Schleiereule
Gelbbauchunke

Bereits erfolgreich von Zoos ausgewildert: Schleiereule und Gelbbauchunke

Die Lebensräume für Tiere werden immer kleiner. Auch leben Tiere der gleichen Art zunehmend getrennt voneinander – etwa durch Waldrodungen sowie Straßen- und Siedlungsbau. Das kann ihr Überleben massiv bedrohen, weil sie dann gar keine oder nur verwandte Paarungspartner finden. Genetische Verarmung und ein erhöhtes Aussterbe-Risiko können die Folge sein. Daher benötigen bedrohte Tierarten vielfältige Schutzmaßnahmen. Insbesondere kann es wichtig sein, dass Tiere zwischen wilden und in menschlicher Obhut lebenden Beständen umgesiedelt werden – um Populationen wiederherzustellen und die genetische Vielfalt zu verbessern.
Auswilderungsprojekt: Addax in Afrika

Arabische Oryx: Dank der Zoos wieder in ihrer Heimat

Artenschutz

Die Rolle von Zoos im Artenschutz

Zoos halten nicht nur die Tiere für die Auswilderung – sie liefern auch eine ganze Reihe spezieller Fachkenntnisse und Erfahrungen, die bei der Um- und Wiederansiedlung benötigt werden, zum Beispiel:
  • Umgang mit Tieren
  • Haltung und Zucht von Tieren
  • Identifizierung von Tieren
  • Transport von Tieren
  • Veterinärmedizin
  • Management von Populationen
  • Biosicherheit und Risikobewertung
  • Einhaltung von Rechtsvorschriften
Daran wird deutlich, wie komplex ein Auswilderungs-Projekt ist. Vor und nach der eigentlichen Auswilderung, also dem Entlassen der Tiere in den Lebensraum, sind wichtige wissenschaftliche Schritte zu gehen.
Mehr zur Rolle von Zoos im Artenschutz können Sie hier lesen.
Drei Löwen-Jungtiere klettern durch ihr Zuhause

Erfolgreiche Zucht: Berberlöwen-Jungtiere im Zoo

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Sicherheitspopulation halten

Ist eine Art in der Wildbahn so selten geworden, dass man die Fortpflanzung fördern muss, um sie zu erhalten, dann kommt die Zucht in menschlicher Obhut ins Spiel. Aufgabe der Zoos ist es, so gezielt zu züchten, dass eine genetisch gesunde Zoopopulation entsteht.
View across the Ol Jogi Conservancy. Credit Save the Rhino International

Blick über den Ol Jogi Conservancy. Foto: Save the Rhino International

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Lebensraum finden

Eine Voraussetzung für die Wiederansiedlung einer Art ist, dass sicherer Lebensraum vorhanden ist. Am Anfang eines jeden Auswilderungsprojekts steht daher, ein geeignetes Gebiet zu finden oder wiederherzustellen und zu schützen.
Wiederansiedlung von Addax

Aus den Zoos in die Sahara: Der Erlebnis-Zoo koordiniert die Wiederansiedlung der Wüstenantilope Addax

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Geeignete Tiere auswählen

Häufig werden Tiere in einem Gebiet angesiedelt, in dem es bereits Tiere dieser Art gibt. Es sollten dann Tiere zur Wiederansiedlung ausgewählt werden, die ähnlich gut an das Gebiet angepasst sind wie die dort lebenden Artgenossen. So wird das Risiko minimiert, dass die wiederangesiedelten Tiere die vorhandene Population schwächen statt stärken.
Eisbär mit Sender
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Auswirkungen vorhersagen

In der Regel wird eine Studie durchgeführt, bei der die Auswilderung simuliert wird. So kann vorhergesagt werden, welche (genetischen) Auswirkungen die ausgewilderten Tiere auf die noch vorhandenen Artgenossen haben können. Auch will man wissen, wie sich die Auswilderung auf das Ökosystem als Ganzes und auf die anderen Arten darin auswirken würde. Eine Auswilderung von Fleischfressern hätte beispielsweise zur Folge, dass sie den Bestand ihrer Beutetiere verringern würden – sofern überhaupt genug Beutetiere vorhanden wären.
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Erfolge auswerten

Nach dem Entlassen der Tiere in die Wildbahn ist zu überwachen und auszuwerten, ob und wie die Tiere überleben und sich fortpflanzen: Was hat geklappt, wo hakt es? Und nach Möglichkeit ist zu untersuchen: Wie verändert sich die genetische Vielfalt in der Population? Auch sind die Auswirkungen auf das Ökosystem zu beobachten – vor allem, wenn man Arten in einem Gebiet auswildert, in dem sie gar nicht mehr vorkamen. Diese genetischen und ökologischen Aspekte müssen immer gemeinsam gedacht werden!

Addax-Antilopen:
Eine Erfolgsgeschichte

Der Erlebnis-Zoo Hannover koordiniert seit 1991 das Europäische Erhaltungszuchtprogramm für die vom Aussterben bedrohte Addax-Antilope. In der ungeschützten Wildbahn in der Sahara, dem ursprünglichen Lebensraum der seltenen Wüstenbewohner, zählt man nur noch weniger als 100 Tiere. In den Zoos weltweit leben dank der Erhaltungszucht hingegen über 500 Individuen – und aus dieser Zoopopulation wurden in den Jahren 1994 bis 1996 rund 70 geeignete Tiere ausgewählt. Sie wurden in einem geschützten Nationalpark in Marokko wiederangesiedelt!
Seitdem entwickelt sich die Gruppe im Nationalpark unter der stetigen Beobachtung unserer Partnerorganisation Sahara Conservation. Es folgten weitere Wiederansiedelung in Marokko sowie in Tunesien und im Tschad. Im Jahr 2019 war es dann so weit: Über 30 Addax-Antilopen konnten aus dem marokkanischen Nationalpark in die ungeschützte Wildbahn entlassen werden! Diese Gruppe wird seitdem per Satellit beobachtet – finanziert wurde das Besendern der Tiere unter anderem vom Erlebnis-Zoo Hannover.
Dieses Projekt zeigt eindrucksvoll: Zoos und Naturschutzorganisationen im Lebensraum der bedrohten Arten arbeiten Hand in Hand zum Arterhalt – mit Erfolg!
Auswilderung Addax, Thomas-Rabeil-Morocco
Auswilderung Addax, Thomas-Rabeil-Morocco

Aus den Zoos in die Sahara: Der Erlebnis-Zoo koordiniert die Wiederansiedlung der Wüstenantilope Addax

Wussten
Sie schon?

Gibbon im Zoo
Das Um- und Wiederansiedeln für den Artenschutz hat eine lange Geschichte. Eines der frühesten dokumentierten Beispiele ist aus dem Jahr 1895: Der Naturschützer Richard Henry siedelte zwei flugunfähige Vogelarten, den Südlichen Streifenkiwi (Apteryx australis) und den Kakapo (Strigops habroptilus) vom Festland Neuseelands auf eine Insel um. Auf dem Festland waren die Vögel durch eingeschleppte Raubtiere bedroht – die Insel hingegen war Raubtier-frei. Richard Henrys bahnbrechender Pionierarbeit folgten unzählige Um- und Wiederansiedlungen zum Schutz von Vogelarten, und schließlich auch Projekte für Säuger, darunter die Oryxantilope (Oryx leucoryx) und das Goldene Löwenäffchen (Leontopithecus rosalia). Die Anzahl und die Vielfalt der wiederangesiedelten Arten haben in den letzten Jahren erheblich zugenommen!
Dieser Artikel erschien zuerst in der Ausgabe Frühjahr 2023 der Zoo-Zeitschrift "JAMBO!".